Meine Antwort auf den Artikel vom 21. Oktober in der B.Z. Berlin unter der Überschrift „Mein Ärger –Warum ist es so schwer, einen Termin beim Bürgeramt zu bekommen?“:
Sehr geehrter Herr Schupelius,
als regelmäßiger Leser Ihrer Kolumne verfolge ich mit großem Interesse auch Ihre Artikel über die Berliner Bürgerämter – so neulich beispielsweise den Artikel vom 21. Oktober unter der Überschrift „Mein Ärger –Warum ist es so schwer, einen Termin beim Bürgeramt zu bekommen?“. Als zuständiger Stadtrat für die Bürgerämter im Bezirk Pankow möchte ich Ihnen deshalb gerne meine Erfahrungen mit der aktuel-len – unbefriedigenden – Situation zukommen lassen.
Natürlich entspricht die derzeitige Situation nicht den Anforderungen an eine moderne und bürgerfreundliche Verwaltung im Berlin des 21. Jahrhunderts. Sie entspricht auch nicht dem eigenen Serviceversprechen der Bürgerämter, dass jeder Kunde innerhalb von 14 Tagen einen Termin in einem Bürgeramt erhält. Gelegentlich stürmt ein aufgebrachter Kunde auch in mein Büro und beschwert sich. Es ist äußerst unbefriedigend, dann auch nur die Ursachen für die Misere benennen und erklären zu können. Meistens verstehen die Kunden die Situation dann ein wenig besser, aber wirklich zufrieden macht es sie auch nicht. Auch dem häufig geäußerten Vorschlag, dass ich als zuständiger Stadtrat doch einfach 10, 20, 30 neue Mitarbeiter einstellen könnte oder – noch besser – die Mitarbeiter des Ordnungsamtes im Bürgeramt einsetzen sollte, versuche ich dann sachlich zu begegnen. Denn auch wenn die Bürgerämter formal in der Zuständigkeit der Bezirke liegen, so gelten auch für die Bezirke die Landesgesetze – insbesondere das Landeshaushaltsgesetz. Und im Haushaltsplan – inklusive Stellenplan – sind auch die Ressourcen für die Bürgerämter für jeweils 2 Jahre festgeschrieben. Daran hat sich auch der zuständige Stadtrat zu halten.
Wie konnte es eigentlich zu der jetzigen unbefriedigenden Situation kommen? Im Prinzip ist die Entwicklung über die Jahre hinweg einfach nachzuvollziehen. Bevor Berlin das Thema wachsende Stadt erkannt hat, wurden Ressourcen insbesondere in den Bezirken deutlich reduziert. Auch die Bürgerämter waren davon nicht ausge-nommen. Der Senat – und insbesondere der Finanzsenator – verweist an dieser Stelle gern darauf, dass es den Bezirken im Großen und Ganzen frei stand, wo sie Personal abbauten. Das ist – auch wieder formal – richtig. Aber auch bei den sonstigen bürgernahen – und gesetzlichen – Dienstleistungen wie im Jugend- oder Sozialbereich, bei der öffentlichen Ordnung oder im Immobilienwesen sah und sieht es nicht besser aus. Man muss sich nur die öffentlichen Grünanlagen oder Schulgebäude anschauen. Sollten hier die Bezirke wirklich noch mehr Personal abbauen, um die Bürgerämter schonen zu können? Dem Abbau von Personal stand und steht ein Zuwachs an Aufgaben gegenüber. Die Einwohnerzahl wächst seit Jahren kontinuierlich. Alleine in Pankow kommen 5.000 bis 10.000 Neubürger jedes Jahr hinzu. Die erste Anlaufstelle ist nicht selten das Bürgeramt. Rund 320.000 Dienstleistungen erbringen alleine die Pankower Bürgerämter im Jahr – von Anwohnervignette bis Zweitwohnsitz. Seit 2009 gibt es den neuen Personalausweis. Statt elf Minuten dauert die durchschnittliche Bearbeitung nun 18 Minuten pro Dokument. Bei über 40.000 Ausweisen jährlich ist der Mehraufwand erheblich, zusätzliches Personal gab es dafür natürlich nicht. Die Mitarbeiter der Bürgerämter müssen aber auch weitere Aufgaben übernehmen: Unterstützung bei Wahlen und Prüfung von Unterschriften bei Bürger- und Volksbegehren – auch hier wieder mit wachsendem Aufwand ohne zusätzliches Personal. Die Aufgabenverdichtung geht an den Mitarbeitern nicht spurlos vorbei. Mit der Überlastung steigt der Krankenstand. Die Planungen gehen von einer Anwesen-heitsquote von 80 Prozent aus. In der Realität fehlen in den Berliner Bürgerämtern durchschnittlich 40 Prozent der Mitarbeiter aufgrund von Urlaub, Krankheit, Fortbil-dung oder anderweitiger Einsätze wie bei Wahlen. Insofern stellt die jetzige Situation eine logische Entwicklung der letzten Jahre dar. Mahnende Stimmen waren immer zu hören. Aber es galt lange die im 2001 verkündete Devise: Es wird gespart, bis es quietscht. Genau das tut es eben jetzt!
Warum erfolgte in den Bürgerämtern die Umstellung auf das System der Termin-vergabe? Auch in Pankow haben wir im Sommer 2014 die vorherige Terminvergabe für Anliegen in den Bürgerämtern eingeführt. Die Vorsprache von Bürgerinnen und Bürgern hatte seit dem Frühjahr 2014 derart zugenommen, dass eine Sperrung der Nummernvergabe für „Spontankunden“ oft schon nach nur 30 Minuten nach Sprechzeitenbeginn erfolgen musste. Nach Abschaltung der Nummernvergabe kam es an der Information oft zu großen Unmutsbekundungen der Bürgerinnen und Bürger gegenüber den Mitarbeitern, weil für den gleichen Tag keine Wartenummer mehr erhältlich waren. Die Bedienung nur nach Vereinbarung eines Termins erfolgte somit, um den Besuchern des Bürgeramtes lange Wartezeiten und vor allem aussichtslose Besuche aufgrund hohen Publikumsandrangs zu ersparen. Bereits vor der Umstellung erhielt ich oft Bürgerfragen dahingehend, warum nicht mehr Termine im Internet angeboten werden. Im Vergleich zu den langen Wartezeiten als „Spontankunde“ wäre es viel praktischer als Terminkunde. Die Umstellung auf Terminvergabe stellt also an sich nicht das Problem dar. Im Gegenteil erhöht sie prinzipiell die Kundenzufriedenheit, wenn sie denn funktioniert. Das Hauptproblem besteht in dem Umstand, dass es in Berlin derzeit nicht möglich ist, grundsätzlich innerhalb von 14 Tagen einen Termin zu buchen.
Wie funktioniert das System der Terminvergabe? Täglich werden Termine zum Bu-chen freigegeben. Die angebotenen Termine können derzeit berlinweit acht Wochen im Voraus gebucht werden. Das heißt jeden Tag wird ein Tag – in acht Wochen – freigeschaltet. Darauf haben sich die Berliner Bezirke mit der zuständigen Senatsverwaltung für Inneres geeinigt. Die Freischaltung erfolgt in den Bezirken, so dass es im Alltag schon zu unterschiedlichen Prozeduren kommen kann. Auch die Anzahl der freigeschalteten Termine kann sich unterscheiden. Wir schalten in Pankow nur so viele Termine im Voraus frei, wie wir durch die erfahrungsgemäß verfügbaren Mitarbeiter auch in jedem Fall absichern können. Innerhalb der acht Wochen werden auch Termine freigeschaltet, wenn Termine wieder zurückgegeben werden. Darüber hinaus werden in den Pankower Bürgerämter an jedem Tag eine halbe Stunde vor Beginn der Sprechstunde zusätzliche Termine für den laufenden Tag freigeschaltet. Dies erfolgt unter Berücksichtigung der am Tag tatsächlich anwesenden Mitarbeiter des jeweiligen Bürgeramtes. Also auch sehr kurzfristig hat man noch die Chance auf einen Termin.
Warum ist es so schwer, einen freigeschalteten Termin zu buchen? Ihre eingängige Schilderung des gescheiterten Versuches einen blau unterlegten und somit freien Termin zu buchen, lässt sich möglicherweise mit der Seite http://www.buergeramt-termine.de erklären, wo ein Algorithmus gegen ein Entgelt nach wie vor Termine bucht. Letzterer dürfte wohl immer schneller sein als der Mensch. Hierzu wurde in der jüngeren Vergangenheit ja auch schon hinlänglich in der Presse berichtet. Rechtlich ist diesem Angebot nach Aussage der zuständigen Senatsverwaltung nur schwer beizukommen. Denn der Algorithmus blockiert nicht wahllos alle freien Termine, sondern gleicht nur die eingegebenen Kundendaten mit den freigeschalteten Terminen ab und bucht nur bei Übereinstimmungen. Das heißt, dass der Algorithmus im Prinzip genau dasselbe wie der Kunde vor seinem Rechner macht, in dem er die Seite immer wieder neu aufruft (so wie von der Service-Nummer 115 empfohlen) nur eben viel schneller. Die bisher einzige Möglichkeit darauf zu reagieren, ist die gesteigerte Freischaltung von Terminen, welche ausschließlich von der Service-Nummer 115 gebucht werden können. Pragmatischerweise würde ich dem Senat empfehlen, den Algorithmus den Berliner Software-Entwicklern einfach abzukaufen und das Angebot selbst – gegen Gebühr oder ohne – anzubieten. Beim Hase-und-Igel-Spiel zwischen Software-Entwicklern und Senatsverwaltung habe ich das Gefühl, dass nicht der Senat gewinnen würde. Außerdem würde ein solches Angebot, den „ehrlichen“ Kunden ersparen, selbst vor dem Rechner sitzen zu bleiben.
Was passiert eigentlich, wenn ich kurzfristig und dringend neue Ausweisdokumente benötige? Ein Teil der verfügbaren Termine wird für sogenannten „Notfallkunden“ reserviert. Bei den Pankower Bürgerämtern ist es gemäß der berlinweiten Absprache gängige Praxis, dass nachgewiesene dringliche Angelegenheiten (z. B. die Beantragung von Personaldokumenten, die für eine bevorstehende Reise zwingend benötigt werden oder bei Verlust bzw. Diebstahl der alten Dokumente), soweit möglich, noch am Tag der Vorsprache – in der Regel verbunden mit einer Wartezeit – bearbeitet werden. Hierzu ist die Vorsprache an der Information erforderlich. In jedem Fall unterbreiten wir dem Kunden bei persönlicher Vorsprache einen Vorschlag zur Klärung des dringenden Anliegens. Im Übrigen erfolgt dies auch unabhängig vom Wohnort des Kunden. Es gilt die Allzuständigkeit der Berliner Bürgerämter für ganz Berlin. Für uns in Pankow ist diese eine Errungenschaft, die nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden sollte. Die Vorstellung, dass jeder Bürger zu dem Bürgeramt seines Wohnsitzbezirkes gehen muss, ist für die Einheitsgemeinde Berlin m. E. nicht wirklich erstrebenswert.
Was muss nun schnell passieren, damit die Bürgerämter wieder zu einem Erfolgmo-dell in Berlin werden? Wie bereits erwähnt, entspricht in punkto Terminvergabe der aktuelle Service nicht dem selbst gesetzten Leitbild einer bürgerfreundlichen Dienstleistung. Die aktuellen Wartezeiten für einen Termin ermöglichen es dem Bürger nicht, gesetzlich vorgeschriebene Fristen, z.B. Wohnortanmeldung innerhalb von 14 Tagen, einhalten zu können. Und im nächsten Jahr stehen wieder Wahlen an. Nicht auszudenken, wenn die rechtzeitige Eintragung ins Wählerverzeichnis an fehlenden Terminen im Bürgeramt scheitern sollte. Wir machen uns in Pankow schon jetzt Gedanken, dass dies nicht – zumindest in Pankow – passieren wird. Aber dauerhaft im Reparaturbetrieb können auch die Bürgerämter nicht betrieben werden. Eine aufgabengerechte Personalausstattung ist dringendst geboten und wird von den Bezirken gegenüber dem Senat auch nachdrücklich eingefordert. Und daran führt kurzfristig, bei allem Verständnis für Evaluierungen und Prozessoptimierungen, auch kein Weg vorbei. Gerade im Bereich Bürgerämter ist die Berechnung des Personalbedarfs kein Hexenwerk. Wir wissen, wie oft die Berliner ins Bürgeramt müssen – nämlich 80 Prozent mindestens einmal im Jahr. Wir wissen, wie lange die Bearbeitung z.B. eines (neuen) Personalausweises dauert – nämlich durchschnittlich 18 Minuten. Wir wissen, wie viele Kunden die Mitarbeiter bedienen können – nämlich ca. 4 bis 5 pro Stunde. Wir wissen, wie viele Mitarbeiter in Bürgerämtern arbeiten, wie oft die Mitarbeiter aufgrund von Urlaub, Krankheit, Fortbildung erfahrungsgemäß fehlen und so weiter. Es bedarf keiner hohen Mathematik, um daraus einen Personalmindestbedarf zu errechnen. Im letzten Jahr ergaben die Berechnungen einen Fehlbedarf von dauerhaft knapp 80 Stellen in allen Bezirken. Die Verhandlungen mit dem Finanzsenator brachten dann 31 befristete zusätzliche Stellen. Besser als nichts, aber eben nicht genug. Seit diesem Ergebnis im letzten Dezember hat sich die Situation in Berlin weiterentwickelt. Die Überlegungen gingen damals von einem durchschnittlichen Bevölkerungswachstum von gut 4 Prozent aus. Die realen Werte haben diese Prognose längst überholt. Trotz der 31 befristeten Stellen fehlen heute nach neuen Berechnungen mehr als 80 Stellen dauerhaft. Zumal wir auch die sich weiter aufbauende Bugwelle von Termin suchenden Kunden irgendwann abarbeiten müssen.
Wie kann eine langfristige Lösung aussehen? Wie gesagt, führt kurzfristig an mehr Personal in den Bürgerämtern kein Weg vorbei. Alleine um die Bugwelle der wartenden Kunden abzubauen, müssen die Ressourcen aufgestockt werden. Mittelfristig kann die Lösung aber nur in einem schnellen Ausbau der Online-Serviceangebote bestehen. Jeder Kunde, der nicht mehr persönlich im Bürgeramt vorsprechen muss und seine Angelegenheiten online selbst erledigen kann, entlastet die Verwaltung nachhaltig. Und andere europäische Länder zeigen bereits, dass es funktioniert. Es fehlen dabei nicht die technologischen Lösungen. Und natürlich müssen Datensicherheit und -schutz oberste Priorität haben. Was fehlt, ist der rechtliche Rahmen in Deutschland. Trotz neuen elektronischen Personalausweises mit Signierfunktion sind die Einsatzmöglichkeiten nach wie vor überschaubar. Denn es gilt immer noch der Grundsatz, dass Formulare handschriftlich unterzeichnet werden müssen. Solange der Kunde aber im Zweifelsfall ein online-Formular immer noch ausdrucken, unterschreiben und dann persönlich oder per Post bzw. Mail an die Behörde zurücksenden muss, wird sich am Verwaltungsaufwand kaum etwas verändern. Hier liegen die größten Effizienzpotentiale. Mit einem zeitgemäßen Serviceangebot im Internet könnte jeder Bürger unkompliziert seinen Meldepflichten nachkommen und die Bürgerämter wären entlastet. Und natürlich könnten wir dann für die Bürger, die auch weiterhin persönlich im Bürgeramt Rat und Auskunft suchen, einen kundenfreundlichen Ser-vice anbieten. Dann vielleicht sogar auch wieder als „Spontankunde“.
Freundliche Grüße
Torsten Kühne